Blog | 2. November 2023

Nachhaltige Beschaffung im Lebensmitteleinzelhandel

Gegenüberstellung des Transports und der gesamten Wertschöpfungskette im Hinblick auf soziale und ökologische Auswirkungen

Nachhaltigkeit ist heute mehr als nur ein Schlagwort und erfordert branchenübergreifend von allen Beteiligten in der Supply Chain besondere Berücksichtigung. ESG-(Environmental, Social und Governance) Strategien und neue Gesetze fördern ökologisch und ethisch nachhaltigere Lieferketten, indem sie beispielsweise Berichte über CO2-Emissionen oder Arbeitsbedingungen und entsprechende Maßnahmen vorschreiben. Gleichzeitig spielen sowohl ökologische als auch ethische Auswirkungen eine wichtige Rolle für Kaufentscheidungen von Verbrauchenden.

Gerade im Lebensmitteleinzelhandel bestehen seitens Konsumierenden oft hohe Ansprüche an Nachhaltigkeit – die meisten Menschen streben an, die Umweltauswirkungen ihres Einkaufverhaltens zu minimieren.In einer 2023 durchgeführten globalen Studie hielten 71 % der Verbrauchenden es für sehr wichtig,2 dass Lebensmittelmarken sich zu Nachhaltigkeitsinitiativen verpflichten. Da die Lieferkette rund 90 % der Treibhausgasemissionen von Konsumgüterunternehmen verursacht, besteht gerade hier ein erheblicher Druck zur Reduzierung des CO2-Fußabdrucks.3

Transport – ein kleiner Anteil der Gesamtemissionen, aber ein wichtiger Hebel für Einzelhändler

Es wird häufig angenommen, dass Verarbeitungs- und Logistikprozesse wie Lagerung, Verpackung und vor allem Transport die meisten Emissionen in der Lieferkette verursachen. Tatsächlich entstehen für viele Lebensmittel dadurch jedoch weniger als 10 % der gesamten Treibhausgasemissionen – bei einigen Produkten, wie z. B. Rindfleisch, liegt dieser Anteil sogar unter 1 %.4 Die weitaus größeren Faktoren hängen meist mit der Produktion zusammen: Landwirtschaft, Flächennutzung und, im Falle von tierischen Produkten, Futtermittel für die Viehbestände.

Ein Grund für den vergleichsweise geringen Anteil des Transports an den gesamten Treibhausgasemissionen solcher Produkte ist, dass nur sehr wenige Lebensmittel per Luftfracht transportiert werden. Denn diese verursacht im Vergleich zur Seefracht, neben höheren Kosten, 50-mal mehr CO2-äquivalente Emissionen pro Tonnenkilometer. Wie in einer globalen Studie zum Lebensmitteltransport erkannt wurde, sind nur 0,16 % der Kilometer im Transport von Lebensmitteln auf Luftfracht zurückzuführen. Auf den Schienenverkehr entfallen etwa 10 % der Transportkilometer für Lebensmittel, auf den Straßenverkehr etwa 30 % und auf den Schiffsverkehr die übrigen 60 %.5

Da Einzelhandelsunternehmen meist nur geringen Einfluss auf die vorgelagerten Prozesse in Produktion und Logistik haben, kann für sie der Transport dennoch ein wichtiger Hebel sein, um nachhaltiger zu werden. In einem ersten Schritt sollte hierzu Transparenz geschaffen und die Emissionsausgangslage definiert werden. Darauf aufbauend können Maßnahmen zur Emissionsreduzierung identifiziert werden, wie z. B. die Umstellung auf intermodale Transporte und die Nutzung alternativer Antriebe für den Straßengüterverkehr, z.B. mit Elektro- oder Wasserstoff-Lkw.

Als weitere Maßnahme hilft die Netzwerkoptimierung Unternehmen, ihre Transporteffizienz zu verbessern und Transportwege zu verkürzen, indem sie beispielsweise optimale Lagerstandorte findet. Ein stärker zentralisiertes Netzwerk mit weniger Standorten kann aus Sicht des Transports und der Lagerhaltung von großem wirtschaftlichen Nutzen sein. Das Unternehmen kann dabei selbst entscheiden ,ob die Emissionsberechnung und -bewertung und die Netzwerkoptimierung intern mit Softwareunterstützung oder mit Hilfe externer Partner durchgeführt werden soll.

Intermodaler Transport auf der Schiene oder auf dem Wasser kann Unternehmen helfen, die Umweltauswirkungen des Transports zu reduzieren

Warum die regionale Beschaffung nicht immer nachhaltiger als die globale Beschaffung ist

Die Beschaffung spielt eine entscheidende Rolle für die Nachhaltigkeit der Lieferkette – vor allem im Lebensmittelbereich, wo Produktion und Lagerung meist von bestimmten Umweltbedingungen abhängen.

Viele Lebensmittel erfordern besondere klimatische Bedingungen, wie z.B. Zitrusfrüchte, die viel Wärme und Licht benötigen. Ihr Anbau in kälteren, dunkleren Regionen verbraucht große Mengen an Energie für Heizung und Beleuchtung, was die negativen Umweltauswirkungen erheblich erhöht. In den meisten Teilen der USA ist es ökologisch nachhaltiger, Produkte wie Zitrusfrüchte, Trauben, Nüsse und Beeren aus Florida oder Kalifornien quer durchs Land zu transportieren oder aus anderen Teilen der Welt zu importieren als vor Ort anzubauen.

Selbst wenn Obst und Gemüse in der Region des Verkaufsorts gut gedeihen, handelt es sich oft um saisonale Produkte – sie das ganze Jahr über in der Filiale verfügbar zu haben, erhöht den CO2-Fußabdruck erheblich. Aufgrund der mit der Kühllagerung verbundenen Emissionen haben zum Beispiel Äpfel, die auf dem Seeweg von Südamerika nach England verschifft werden, einen halb so großen CO2-Fußabdruck wie Äpfel aus britischem Anbau, die 10 Monate lang gelagert werden.6

Die Kühlung von Lebensmitteln kann mehr als 60 % des Stromverbrauchs von Lagern ausmachen.7 Ein leicht umsetzbarer Wechsel von herkömmlichem zu Strom aus erneuerbaren Energien kann bereits deutliche Auswirkungen haben. Bei einer Lagerfläche von 50.000 m² (etwa 540.000 ft2) kann diese Umstellung pro Jahr etwa so viel CO2 einsparen, wie 1.000 Lkw bei einer Fahrt von 200 km (etwa 125 Meilen) ausstoßen.8 Auch die Optimierung des Netzwerks kann dazu beitragen, Emissionen zu reduzieren, indem überschüssige Lagerflächen identifiziert werden.

Obwohl logistische Schritte wie Transport und Verarbeitung nur für einen kleinen Anteil der Gesamtemissionen von Lebensmitteln verantwortlich sind, sind sie ein wichtiger Hebel im Handlungsspielraum von Lebensmitteleinzelhändlern.

In Anbetracht der Auswirkungen von Produktion und Lagerung auf die Nachhaltigkeit sollten Unternehmen innerhalb ihrer gesamten Wertschöpfungsnetzwerke darauf achten, dass die Nachhaltigkeitsstrategien der Lieferanten mit der eigenen übereinstimmen. Beispielsweise könnten Nachhaltigkeitsrichtlinien in Ausschreibungsunterlagen integriert werden, um zentrale Aspekte der Nachhaltigkeitsstrategie auch bei Lieferanten und Dienstleistern sicherzustellen: zum Beispiel die Selbstverpflichtung von Lieferanten für eine ethische Beschaffung von Rohstoffen oder die Zertifizierung für nachhaltiges Handeln von Logistikdienstleistern.

Mehr als CO2 – die Rolle von sozialer Nachhaltigkeit in der Lieferkette

Soziale Verantwortung wird zu einer gesetzlichen Anforderung für Lieferketten. Rechtliche Vorschriften wie das Deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz schreiben vor, dass Unternehmen Menschenrechtsverletzungen in ihren Wertschöpfungsketten erkennen, beheben und verhindern müssen. Die vorgeschlagene EU-Richtlinie für Unternehmenssorgfaltspflichten in Lieferketten würde diese Anforderung EU-weit auf Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro sowie auf kleinere Unternehmen in stark betroffenen Sektoren wie Textilien, Landwirtschaft oder Bergbau ausweiten – insgesamt fast 13.000 Unternehmen innerhalb der EU und etwa 4.000 weitere Nicht-EU-Organisationen mit Umsätzen in der EU.9

Darüber hinaus sind die sozialethischen Auswirkungen von Produkten wichtig für Kundinnen und Kunden – in Europa gehören eine faire Entlohnung entlang der Lieferketten und das Verhindern von Kinderarbeit zu den fünf wichtigsten Beweggründen für Verbrauchende, mehr für ein Produkt zu bezahlen.10

Auch wenn die Umweltauswirkungen des Überseegütertransports kein Grund sind, nach alternativen Ursprungsländern zu suchen, sind die Arbeitsbedingungen in den großen Erzeugerländern oft unzureichend und liegen außerhalb des Handlungsspielraums der Einzelhändler. Da es weltweit kein einheitliches Wertesystem für Menschenrechte gibt, ist die Zusammenarbeit mit den Partnern entlang der Lieferkette unerlässlich, um faire Arbeitsbedingungen zu sichern.

Der Ansatz des sogenannten Supply Chain Mappings schafft Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken in den Liefernetzwerken und hilft Unternehmen so, Maßnahmen zu priorisieren, um Sorgfaltspflichten in der Lieferkette umzusetzen. Supply Chain Mapping bezieht in der Regel öffentliche, private und gemeinsam genutzte Daten über Lieferanten mit ein, sowie Informationen über regionale, geopolitische oder branchenbezogene Entwicklungen. So können Risiken ermittelt werden – insbesondere solche, die mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit zusammenhängen. Klare Richtlinien, die Förderung von Vertrauen und Anreize für den Datenaustausch sind der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung.

Der erste Schritt hin zu einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie

Transport, Lieferantenwahl und soziale Verantwortung sind drei Schlüsselelemente, die Einzelhändler bei der Entwicklung einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie berücksichtigen sollten. Die Zusammenarbeit mit Partnern und Lieferanten ist unerlässlich, um Transparenz zu gewährleisten und Einfluss auf die Nachhaltigkeit zu nehmen. Indem sie der Nachhaltigkeit in ihrer gesamten Wertschöpfungskette Priorität einräumen, können Einzelhändler die Erwartungen ihrer Stakeholder erfüllen, neue gesetzliche Anforderungen einhalten und durch Multiplikatoreffekte die Entwicklung einer nachhaltigeren Weltwirtschaft fördern.

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Von nachhaltigen Transportnetzwerken, über alternative Beschaffungsstrategien, bis hin zur Kategorisierung oder Auditierung von Lieferanten – finden Sie die optimale Lösung für Ihr Unternehmen.

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Autoren

Eric Breitbarth

Senior Expert
4flow research

Jan Oppermann

Principal und Head of Sustainability Practice
4flow consulting

Hanka Smiejczak

Vice President
4flow consulting