Eine mögliche Strategie im zukünftigen Umgang mit COVID-19 ist es, sich auf den Schutz von Risikogruppen zu konzentrieren, diese weitgehend abzuschotten und per Hauslieferung mit Lebensmitteln zu versorgen. Aber wäre das logistisch überhaupt möglich? Das untersucht eine Forschungsgruppe um Wendelin Groß und Eric Breitbarth von 4flow, dem Anbieter von Logistikberatung, Logistiksoftware und 4PL-Dienstleistungen, aktuell am Beispiel Berlin.
Ihr vorläufiges Fazit lautet: In der Hauptstadt wäre es momentan nicht möglich, die notwendigen Kapazitäten bereitzustellen, um Risikogruppen zu beliefern.
Anderswo dürfte das ähnlich aussehen. Die Forscher empfehlen darum Anreize für Betreiber von Fahrzeugflotten, ihre Fahrzeuge notfalls für die Versorgung von Risikogruppen zur Verfügung zu stellen.
Um den Ressourcenbedarf für die Lieferung von Nahrungsmitteln an Risikogruppen zu ermitteln, haben die Forscher von 4flow ein softwaregestütztes Modell entwickelt. Als Risikogruppen wurden in einem Szenario alle Berliner Senioren über 65 Jahre definiert, in einem weiteren alle über 70 Jahre. Mithilfe des Modells wurde die Belieferung von ca. 56.000 Senioren eines repräsentativen Berliner Bezirks simuliert, das Ergebnis auf ganz Berlin hochgerechnet und mit den öffentlich zugänglichen Daten über hier zugelassene geeignete Lieferwagen abgeglichen.
Das Ergebnis ist deutlich: In allen untersuchten Szenarien gäbe es bei weitem nicht genügend Fahrzeuge, um die Versorgung aller Senioren gewährleisten zu können.
Eine Lösung könnte die Einbindung der großen, aber unspezifischen Fahrzeugflotten der marktführenden Paketdienstleister sein. Allerdings würden diese dann nicht mehr für ihre eigentliche Nutzung zur Verfügung stehen. Deshalb wären Anreize erforderlich, damit die Betreiber ihre Fahrzeuge im Krisenfall zur Verfügung stellen, so die Forscher, die hier weiteren Forschungsbedarf sehen.
Die Studie, die in Teilen vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, ist Teil des Forschungsprojekts NOLAN (Skalierbare Notfall-Logistik für urbane Räume als öffentlich-private Partnerschaft im Katastrophenfall), in dem 4flow zusammen mit der Technischen Universität Dresden und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Konzepte und Lösungen für die Versorgung der Bevölkerung im urbanen Raum in Krisen erforscht.
So verteilen sich die Senioren über das Berliner Stadtgebiet
Download (Bildmaterial)
Verteilung der Senioren über das Berliner Stadtgebiet (300 dpi)