Prozessautomatisierungen werden in den meisten Unternehmen mit dem Ziel integriert, wirtschaftlichen Mehrwert zu generieren. Klassischerweise können durch die zur Produktion eingesetzte Technik höhere Stückzahlen ausgebracht werden, bei gleichzeitig geringeren operativen Kosten. Im Gegensatz dazu würde die manuelle Produktion deutlich höhere Kosten verursachen, um vergleichbare Stückzahlen zu erreichen – vorausgesetzt, die manuelle Ausführung der Prozesse ist überhaupt möglich. Für die Planung derartiger Produktionssysteme ist in der Regel ein standardmäßiges Planungsvorgehen notwendig. Herausfordernder ist hingegen die Planung von Systemen zur Ausführung von Prozessen, die nicht primär aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, sondern aufgrund weiterer limitierender Faktoren (bsp. Infrastruktur und/oder Umwelt) automatisiert werden müssen. Gemäß den Produkt- und Prozessanforderungen ist dabei einerseits eine zuverlässige Technologie zu wählen sowie andererseits ein kostenoptimaler Betrieb zu gewährleisten.
Für diesen Report haben wir einige Projektbeispiele zusammengetragen, in denen eine manuelle Prozessausführung nur erschwert oder teilweise sogar unmöglich ist. Die Zusammenstellung der Beispiele umfasst dabei ein breites Spektrum an Industrien, darunter die Fahrzeugindustrie, Lebensmittelherstellung, den stationären Handel sowie ECommerce, Hightech und Maschinenbau.
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Der Klassiker – Hohes Gewicht und sperrige Teile
Die Handhabung von Bauteilen oder Komponenten mit hohem Gewicht ist ein Beispiel für den Grenzbereich manueller Prozesse – und das für die verschiedensten Industrien. Dies geht in vielen Fällen mit geometrischen Abmaßen einher, die kein ergonomisches Handling durch Menschen erlauben. Konkrete Beispiele hierfür sind unter anderem die Montage von Armaturenbrettern, Sitzen oder Rädern im Automobilbau oder das Kommissionieren und Bereitstellen von Großkomponenten im Maschinen- und Anlagenbau.
Ebenso häufig wird auf eine Vollautomatisierung verzichtet. Vielmehr wird aktuell der Einsatz von manuell geführter Hebetechnik bevorzugt. Jedoch ist erkennbar, dass bereits einige Unternehmen nach Ansätzen suchen, wie der Automatisierungsgrad bei der Ausübung der genannten Tätigkeiten erhöht werden kann. Zum Einsatz kommen beispielsweise AGVs oder Industrieroboter mit hoher Traglast, ggf. erweitert um optische Sensorik zur Erkennung der Umgebung und des Transportobjekts. Gleichzeitig wird die Arbeitsplatzergonomie verbessert, wodurch kostenintensive Ausfälle von Mitarbeitenden bedingt durch körperliche Überbelastung reduziert werden können. Es entstehen also zunächst Kosten durch die Umstellung auf automatisierte Prozesse, doch die Verbesserung bzw. Vereinfachung der Abläufe sowie die geringere Ausfallrate des Personals sorgen langfristig für Kosteneinsparungen.
Diebstahlschutz durch Automatisierung
Besondere Anforderungen an die Sicherheit stellen Prozesse zur Handhabung und Lagerung von Artikeln mit hohen materiellen oder immateriellen Werten. Produkte mit hohen Anforderungen zum Schutz vor Diebstahl oder Missbrauch sind beispielsweise Injektoren für LKW-Motoren, Marken- und Schmuckartikel, aber auch Edelmetalle, Bargeld sowie Ausgangsmaterialien zu deren Erzeugung. Weiterhin sind auch (Ersatz-)Teile für Geräte und Maschinen mit Verwendung in kritischen Bereichen, beispielsweise zur militärischen Verwendung, zu nennen.
Selbst wenn die Prozesse nach technischen Kriterien manuell meist einfach umsetzbar sind, wird in den genannten Beispielen oft auf Automatisierungstechnik zurückgegriffen. Denn diese bietet den Vorteil, dass bereits der Gefahrenbereich der Anlagen gegen unbefugtes Betreten gesichert ist und damit eine erste Barriere für potenzielle Diebe darstellt. Um den Diebstahlschutz weiter zu erhöhen kann diese durch Ergänzung von Sicherheits- und Überwachungstechnik nahezu beliebig verstärkt werden. Neben der physischen Prozessausführung sind auch die Abläufe der Lagerverwaltung entsprechend abzusichern, um beispielsweise Missbrauch bei Buchungsvorgängen bereits im Prozessdesign auszuschließen.
Die resultierenden Mehrkosten für Prozesse mit erhöhten Sicherheitsanforderungen sind dabei meist sehr leicht auf die Produktpreise umlegbar, da diese Kosten auch von Wettbewerbern nicht vermieden werden können. Zudem werden Produkte dieser Art überwiegend mit hohen Margen angeboten, was den Preisdruck weiter reduziert.
Extreme klimatische Bedingungen belasten den menschlichen Körper
Große und schwere Bauteile können den menschlichen Körper schnell an seine Grenzen bringen. Auch klimatische Bedingungen können die Arbeit schwer erträglich für das eingesetzte Personal machen und führen in ihrer Auswirkung zu hohen Krankmeldungsquoten. Ein typisches Beispiel hierfür sind Produktions-, Verpackungs-, Lager- und Kommissionierprozess von Tiefkühlware. In einem Warenhaus mit Temperaturen von -25 °C kann sich ohne entsprechende Schutzkleidung keine Person besonders lange aufhalten. Auch das regelmäßige Betreten bzw. Befahren für Ein- und Auslagerprozesse wirkt sich negativ auf die Energiekosten aus, da mit jeder Öffnung warme Umgebungsluft in den Kältebereich gelangt.
Daher gilt: Je kleiner die Öffnung, desto geringer der Energiebedarf. Dies veranlasst Unternehmen immer häufiger dazu, ihre Lager für Tiefkühlware vollständig zu automatisieren und als „Dark-Warehouse“ zu betreiben. Der Materialfluss in und aus dem Lager wird dabei durch optimierte Schleusen geführt, so dass die Verschleppung von Wärme minimiert wird. Nur im Wartungs- oder Störungsfall muss die Lageranlage durch Personen betreten werden. Der in der Regel hohe Warenumschlag sowie die geringe Varianz der Ladungsträger rechtfertigen auch hier zusätzlich den Investitionsaufwand in die Lagerautomatisierung. Es existieren hier sehr spezielle Anforderungen an die Technologie, um die klimatischen Bedingungen energieeffizent und automatisiert umzusetzen.
Der Onlinehandel boomt – und damit die Verpackungsbranche
„Wir alle erinnern uns zurück an Corona – wie war das noch mit den geschlossenen Geschäften? Und wie gut, dass es Amazon & Co. gab und gibt, die uns auch in diesen Zeiten beliefert haben?“ So oder so ähnlich könnten schon bald die Schlagzeilen lauten. Unternehmen, die sich auf die Herstellung von Verpackungen und insbesondere Kartonagen spezialisiert haben, mussten während der Corona-Pandemie nahezu die doppelte Ausbringungsmenge in die Lager der großen Onlinehändler ausliefern. Und auch nach der Pandemie ist der Boom geblieben.
Wie reagieren diese Unternehmen mit ihrer Produktion und Logistik auf eine solche Steigerung der Bedarfe? Die Antwort ist auch hier: Durch eine schnelle Anpassung mittels Automatisierung. So vollzogen viele Hersteller für Kartonverpackungen ihre Produktion und Logistik innerhalb kürzester Zeit (z.T. <10 Monate) die Umstellung von Teil- auf Vollautomatisierung. Die großen und langen Maschinen in der Fabrik wurden zuvor durch manuelle Stapler- und Ameisenverkehre verknüpft. Bei einer doppelten Ausbringungsmenge an den Maschinen kann das Personal diese Wegezeiten nicht mehr realisieren. Eine verkettete Fördertechnik schafft hier Abhilfe und verkürzt Prozesszeiten („line Feeding“) um bis zu 30 %. Durch eine direkte Ankopplung des automatischen Hochregallagers an die Maschinen durch fahrerlose Transportsysteme werden die fertig zugeschnittenen und palettierten Kartonagen direkt versandfertig eingelagert. Dadurch lassen sich nochmals Effizienzsteigerung verzeichnen und die Auslieferzyklen zum Kunden erhöhen. Die Logistik als „Pulsader der Fabrik“ liefert in diesem Beispiel eine schnelle Antwort auf steigende Kundenbedarfe.
Logistik für verderbliche Waren muss schnell sein
Hinter dem belegten Brötchen, dem Croissaint oder den Brezeln am Bahnhof bzw. im kleinen Kiosk steckt viel Logistik Know-how. Zahlreiche dieser kleinen Verkaufsläden haben keinen oder nur wenig Platz für eine Backstube oder eigenen Backofen im Verkaufsbereich – sie fokussieren sich zu vollständig auf die Auslage ihrer Produkte und benötigen hierfür die gesamte Fläche. Damit hier dauerhaft genügend Produkte zur Verfügung stehen, werden die Produkte in externen Lagern kommissioniert und aufgebacken; beliefert wird anschließend in immenser Geschwindigkeit. Dabei ist das vollautomatische Lager für die Backwaren so aufgebaut, dass es wie ein geschlossener Kreis um eine Kommissionierzone verläuft, wodurch sich die Transportwege auf ein Minimum reduzieren lassen („sternförmige Andienung des Materials ins Zentrum“).
Die Bedarfe werden elektronisch an die Lagertechnik übermittelt, sodass diese die Auslagerungsaufträge zur Kommissionierzone eigenständig sequenziert und durchführt. Die benötigten Backwaren werden über eine Fördertechnik in diese Kommissionierzone geliefert, wo sie dann stückgerecht gepickt und über eine angebundene Fördertechnik direkt in den Versand gebracht werden. Nach erfolgter Kommissionierung werden angebrochene Paletten direkt wieder eingelagert. Die Automatisierung liefert in diesem Beispiel eine höhere Reaktionsfähigkeit im Vergleich zu einem händischen Betrieb und bietet die Antwort auf schnelle und vor allem wechselnde Bedarfe in sehr vielen Verkaufsgebieten bei leicht verderblichen Nahrungsmitteln.
Hoher Durchsatz bei maximaler Präzision
Mit beeindruckender Geschwindigkeit und Präzision werden elektronische Bauteile auf Leiterplatten gesetzt. Durchsätze von mehr als 10.000 Bauteilen pro Stunde, mit einer Größe von teilweise weniger als einem Millimeter sind keine Besonderheit. Langsamer, doch für das menschliche Auge immer noch rasend schnell geht es bei Qualitätskontrollen in der Produktion von Lebensmitteln zu. Delta- und SCARA Roboter sortieren hier Lebensmittel wie beispielsweise Pralinen schnell und dennoch mit der erforderlichen Sorgfalt in die Verpackung. Ebenso sortieren sie fehlerhafte Produkte in kammerbasierten Qualitätsprüfungsverfahren aus. Gemeinsamkeiten beider Prozessbeispiele sind die hohen Anforderungen an Schnelligkeit, Genauigkeit sowie die Hygiene innerhalb der Arbeitsumgebung.
Um Durchsätze dieser Größenordnungen zu erreichen, wäre ungleich mehr Personal als Robotersysteme erforderlich. Die Wiederholgenauigkeit und Präzision kann bei manueller Tätigkeit durch Menschen nur kurzzeitig aufrechterhalten werden, ohne dabei signifikante Ausschussraten zu erhalten. Roboter bieten zudem den Vorteil, dass sie keine ungewollten Partikel in die Produktionsumgebung verschleppen. Die Kontamination durch Schmutz und Keime kann, im Vergleich zur manuellen Prozessführung, durch die Wahl geeigneter Technologie ebenfalls verhindert werden. Da Massenproduktion allgemein für den Einsatz von Automatisierung prädestiniert ist, fallen auch die Business Cases meistens zu Gunsten eines automatisierten Prozesses aus.
Eine hygienische Alternative
Neben der Einhaltung der hygienischen Anforderungen an Arbeitsplätzen in einer Reinraumumgebung, besteht die weitaus größere Herausforderung darin, durch Materialflüsse bedingte Schmutzverschleppung zu vermeiden. Bei der Beschickung von Reinräumen mit Material nehmen Räder von Förderzeugen oder einfachen Wagen Schmutzpartikel vom Boden auf und transportieren diese in den Weißbereich.
Da sich Partikel schwerkraftbedingt am Boden sammeln, lässt sich dieses Phänomen auch bei vorgeschalteten sauberen Bereichen und speziellen Schmutzfängern an den Zugängen nur durch Umladen innerhalb von Schleusenbereichen reduzieren, jedoch nicht vollständig vermeiden. Eine Alternative kann auch hier automatisierte Fördertechnik sein. Ein auf hängenden Schienen geführtes Fahrzeug mit abriebfester Bereifung wird in einer vorgeschalteten sauberen Umgebung beladen und transportiert die Ware an den Verbrauchsort. Durch das Schienensystem entsteht der Vorteil, dass nur ein definierter Bereich reingehalten werden muss und damit die Verschleppung von Partikeln deutlich reduziert werden kann. Weiterhin kann Mehrfachhandling in Schleusenbereichen reduziert werden, was sich wiederum positiv auf die Prozesskosten auswirkt.
Blick in die Zukunft
Wie diese Auswahl an Projektbeispielen zeigt, gibt es in vielen Branchen Prozesse, deren Ausführung die Automatisierung der Materialflüsse oder Handling-Aufgaben aus diversen Gründen erfordern. In unseren aktuellen Projekten und Kundenanfragen zeichnet sich der Trend hin zu digitalisierten und automatisierten Lösungen ab. Steigende Lohnkosten, Fachkräfteverfügbarkeit, besonders mit Blick auf die demographische Entwicklung, oder auch der Ersatz von veraltetem Equipment sind häufige Ursachen, die selbst bisher zaghafte Unternehmen von Investments in die Prozessautomatisierung überzeugen.
Gleichzeitig ist aber auch zu erwähnen, dass es nicht immer wirtschaftliche Gründe sind, die für die Automatisierung sprechen – so können beispielsweise Flächen- / Gebäude- oder Umweltauflagen manchmal Grenzen und Limits für manuelle Prozesse darstellen. Schlanke Prozesse sowie eine skalierbare Automatisierung und umfangreiche Digitalisierung der Produktionslogistik werden zukünftig ein entscheidender Faktor für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit sein.
Dieser Artikel erschien zuerst unter dem Titel „Limits manueller Prozesse“ im „Irgendwas mit Logistik“-Report 8 im Oktober 2023, Seite 17.
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