Blog | 31. August 2023

Supply Chains auf dem Prüfstand

Was das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für die Supply-Chain-Branche bedeutet

Das seit Januar 2023 in Deutschland geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG, oft auch verkürzt als Lieferkettengesetz bezeichnet) bringt neue Verpflichtungen für Unternehmen mit sich. Mit Inkrafttreten des Gesetzes sind Unternehmen mit mehr als 3.000 in Deutschland Beschäftigten in größerem Maße für die Einhaltung menschenrechtlicher und bestimmter umweltbezogener Sorgfaltspflichten entlang ihrer Supply Chains verantwortlich. Ab 2024 gilt die Regelung auch für kleinere und mittelständische Unternehmen. Diese Sorgfaltspflichten umfassen u.a. die Durchführung einer Risikoanalyse und die Implementierung eines Risikomanagementsystems,1 wodurch Risiken für geschützte Rechtspositionen entlang der Lieferkette identifiziert und verhindert werden sollen.

Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer2 bewertet ca. die Hälfte der Marktteilnehmenden diese Regelungen als Herausforderung. Sie sehen sich in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gefährdet, insbesondere durch zusätzliche Bürokratie, erhöhte Kosten und gesteigerte Rechtsunsicherheit.

Autor

Jan Oppermann

Head of
Sustainability Practice
4flow

Fehlende Kapazitäten trotz großer Umsetzungsbereitschaft

Die neuen Anforderungen sind der überwiegenden Zahl der Unternehmen bekannt. Laut einer Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME) berichteten 87 Prozent der befragten kleinen und mittelständischen Unternehmen, die bisher nicht von dem deutschen Lieferkettengesetz betroffen sind, den Anforderungen der EU-Gesetzgebung teilweise oder ganz nachkommen zu wollen.

Die Motivation zur Umsetzung des Gesetzes schon vor der offiziellen Pflicht reicht von werteorientierten Gründen über den zunehmenden Druck durch verschiedene Stakeholder bis hin zur Vorbereitung auf die europäische Gesetzesänderung, deren Inkrafttreten für 2026 erwartet wird. Oft scheitert es jedoch an einer strukturierten Herangehensweise und erforderlichen internen Kapazitäten: 51 Prozent der durch den BME befragten Unternehmen gaben an, noch fehle es an erforderlichen Prozessen und Mitarbeitenden in der Organisation. Auch hinsichtlich der technischen Umsetzung stellten 55 Prozent der teilnehmenden Unternehmen ein Defizit fest.

Die wichtigsten Schritte zur Vorbereitung auf die Gesetzesänderung

Um auf die europäische Gesetzesänderung vorbereitet zu sein, sollten auch Unternehmen, die bisher nicht vom LkSG betroffen sind, bereits jetzt handeln. Nur so können sie sicherstellen, dass die Anforderungen nach der Einführung reibungslos erfüllt werden können. Häufig fehlt jedoch die nötige Transparenz über Zuliefererbeziehungen – selbst auf Tier-1-Ebene. Nur 11 Prozent der befragten Unternehmen können vollständige Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken bei direkten Lieferanten aufweisen.3 Potenzielle Risiken können somit nicht aufgedeckt werden.

Zur Herstellung der Transparenz ist ein Supply Chain Mapping sowie ein Supplier Sustainability Audit hilfreich. Hierbei stellt beispielsweise das Self Assessment der Lieferanten einen ersten wichtigen Schritt dar. Darüber hinaus ermöglicht eine strukturierte Dokumentation, die auch regionale, geopolitische und branchentypische Aspekte berücksichtigt, die weitere Fokussierung und Priorisierung auf potenziell problematische Lieferanten. Um das Bild zu verfeinern, kann in einer weiteren Ausbaustufe die Verknüpfung mit weiteren externen, öffentlich zugänglichen oder privat geteilten Datenquellen sinnvoll oder sogar erforderlich sein. Damit erreichen Sie die nötige Transparenz, um die eigene Supply Chain zu überblicken, Risiken zu identifizieren und eine Priorisierung erforderlicher Maßnahmen vorzunehmen.

Auch digitale Tools können dabei helfen, Transparenz über die eigene Supply Chain herzustellen und potenzielle Risiken zu identifizieren. Zudem ist es hilfreich, sich rechtzeitig verfügbare interne Kapazitäten und Knowhow bewusst zu machen, um diese gegebenenfalls mit der Unterstützung von Drittanbietenden auszugleichen.

Somit können die Supply Chains an die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes angepasst und die Herausforderungen durch kommende Gesetzgebungen gemeistert werden. Zudem bringt die frühzeitige Umsetzung auch weitere Vorteile mit sich, so z.B. hinsichtlich Reputation, Attraktivität am Arbeitsmarkt sowie insbesondere auch eine verbesserte Resilienz des Supply Chain Managements. Denn mit der Transparenz über Nachhaltigkeitsrisiken lassen sich auch allgemeine Versorgungsrisiken aufdecken und mit Maßnahmen absichern.

Lieferkettengesetz in Deutschland und Europa – die Unterschiede

Durch den Gesetzesentwurf auf europäischer Ebene (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD) werden die Vorgaben weiter verschärft, die Umsetzung wird für spätestens 2026 erwartet. Im deutschen Gesetz ist eine Abstufung der Anforderungen verankert, abhängig vom Einfluss des Unternehmens auf den Verursacher der Verstöße und der Anzahl der Produktionsschritte, die zwischen dem Verstoß und dem Endprodukt liegen. Der Geltungsbereich ist derzeit auf Unternehmen mit mindestens 3.000 in Deutschland Beschäftigten beschränkt, ab 2024 auf Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Mit Inkrafttreten des europäischen Entwurfs sind ab 2026 auch Unternehmen mit nur 250 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von über 40 Mio. € betroffen.4

Neben der Erweiterung des Anwendungsbereichs auf Unternehmen aus EU- und Drittländern soll mit dem Europäischen Gesetz die Verantwortung für Aktivitäten der Zulieferer entlang der gesamten Wertschöpfungskette übernommen werden. Damit werden nicht nur unmittelbare Upstream-Lieferanten, wie im LkSG berücksichtigt, sondern auch Downstream-Aktivitäten und etablierte mittelbare Geschäftsbeziehungen relevant. Darüber hinaus müssen deutlich mehr umweltbezogene Pflichten als im LkSG berücksichtigt werden – insbesondere auch Aspekte rund um Rohstoffabbau, Ozonschicht, Biodiversität sowie Verwendung, Verwertung und Entsorgung.

Die Einhaltung des LkSG wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) auf der Grundlage von Unternehmensberichten und eingereichten Beschwerden kontrolliert. Bei Verstößen gegen die Vorgaben drohen Bußgelder oder der Ausschluss von der öffentlichen Beschaffung. Um die Einhaltung des CSDDD zu überprüfen, können die jeweiligen Mitgliedsstaaten selbst eine nationale Behörde benennen. Diese sollen ebenfalls Bußgelder bei Verstößen gegen die Richtlinien verhängen können. Des Weiteren erwähnt das CSDDD explizit eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen. Diese unterliegt zwar dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, rückt aber die Bemühungspflicht der Unternehmen für Abhilfemaßnahmen in den Fokus.