Was ist Quantencomputing und was ist der Zusammenhang mit Supply Chains?
Quantencomputer sind besonders leistungsstarke Rechner, die eine innovative Technologie nutzen. Während klassische Computer zur Berechnung Bits verwenden (die entweder 0 oder 1 sind), verfügt ein Quantencomputer über Qubits, die mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten sowohl 0 als auch 1 sein können. Dabei nutzen sie die physikalischen Eigenschaften dieser Qubits – wie Überlagerung, Interferenz und Verschränkung –, die die Rechenmechanismen klassischer Computer übertreffen. Mit dieser zusätzlichen Leistung können Programmierende zukünftig speziellen Code schreiben, den ein klassischer Computer nicht ausführen oder interpretieren könnte.
Dies wäre eine große Hilfe bei der Lösung von Optimierungsproblemen in der Supply Chain. Denn diese sind dafür bekannt, dass sie eine Vielzahl von Variablen und Parametern haben, wie zum Beispiel Lieferzeitfenster oder Transportanforderungen wie Kühlung in der Transportplanung. Klassische Computer stoßen bereits dann an ihre Grenzen, wenn sie versuchen, diese Probleme zu lösen. Forschende gehen jedoch davon aus, dass Quantencomputer mit klassischen Computern zusammenarbeiten könnten, indem sie die schwierigsten Herausforderungen bewältigen und den Rest den klassischen Computern überlassen.
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Ein Interview mit
Wendelin Groß
Head of
4flow research
Inwiefern beschäftigt 4flow sich mit Quantencomputing für die Supply Chain?
4flow research, unser Innovationslabor für Supply-Chain-Themen, ist ein Partner des Projekts ProvideQ. In diesem dreijährigen Forschungsprojekt wird die abstrakte Theorie des Quantencomputings genutzt, um Möglichkeiten für künftige Quantencomputer zur effizienten Lösung logistischer Probleme zu finden.
4flow stellt dabei das notwendige praktische Wissen über Logistikprobleme, Daten und Berechnungsheuristiken zur Verfügung, um quantenbasierte Algorithmen zu entwickeln. Zudem unterstützen wir dabei, herauszufinden, welche Logistikprobleme sich für ein „Quanten-Upgrade“ eignen – eine der wichtigsten Herausforderungen dieses Projekts.
Welche Anwendungsbeispiele erforscht 4flow?
Wir erforschen drei spezifische Anwendungsfälle des Quantencomputings, die für die Logistik relevant sind: Ladungsbildung, Fahrzeugrouting und Produktionsplanung. In all diesen Anwendungsfällen müssen deutliche Vereinfachungen des Problems vorgenommen werden, um die Suche nach optimalen Lösungsszenarien mit einem klassischen Computer in einer angemessenen Zeitspanne durchzuführen. Diese Vereinfachungen, sei es in Form von Näherungsalgorithmen oder heuristischen Berechnungsmethoden haben Nachteile. Denn Approximationsalgorithmen können nicht mit großen Mengen von Variablen umgehen, und heuristische Methoden vermindern die Realitätsnähe des vorliegenden Problems.
Wendelin sprach zum Thema "Will quantum computing solve all your logistics problems?" beim 4flow Logistics Day am 13. Juni 2023 in München. Seien Sie beim nächsten 4flow Logistics Day dabei und diskutieren sie mit Expertinnen und Experte der Branche über innovative Supply-Chain-Lösungen.
Welchen Vorteil kann Quantencomputing bei der Lösung solcher Probleme bieten?
Sobald Quantencomputer verfügbar sind, werden sie es Supply-Chain-Planenden ermöglichen, weitaus mehr reale Einschränkungen für diese logistischen Anwendungsfälle zu berücksichtigen und genauere Ergebnisse zu erzielen, da sie viel mehr Parameter effizient verarbeiten können als klassische Computer. Deutlich wird das am Beispiel von Center-of-Gravity-Beschränkungen beim Beladen von Containern: Quantencomputer können Faktoren wie Gewichtsverteilung, horizontale und vertikale Stabilität sowie Stapelungsbeschränkungen berücksichtigen, um einen optimalen Weg für das Beladen eines Lastwagens oder Containers zu finden. Dies wiederum wird die Kosten und die CO2-Emissionen durch eine bessere Auslastung der Anlagen senken.
Um noch einmal auf die Theorie zurückzukommen: Wie ist der aktuelle Stand der Quantencomputerforschung – und der Quantencomputer?
Die Theorie ist der Hardware weit voraus. Die theoretische Seite des Quantencomputings hat sich seit den 1980er Jahren stetig weiterentwickelt und die Weichen für die Fähigkeiten der zukünftigen Technologie gestellt.
Bis vor kurzem stand die Hardware potenziellen Kaufenden sowie Forschenden noch nicht zur Verfügung, und selbst jetzt sind ihre Fähigkeiten noch begrenzt. Forschende haben Quantencomputern zwar bereits Logistikaufgaben gestellt, aber die Computer sind noch nicht leistungsfähig genug, um reale Probleme zu lösen. Die meisten aktuellen Quantencomputer können beispielsweise das Problem des Handlungsreisenden nur für einige wenige Knoten lösen, etwa 6-10.
Die Forschungsmittel zur Entwicklung von Quanten-Hardware in dem für große Fortschritte erforderlichen Umfang wurden schon erheblich aufgestockt. Dadurch sehen wir bereits jetzt deutliche Fortschritte im Bereich Hardware innerhalb eines kurzen Zeitraums. Daher sind wir auch optimistisch, dass die Hardware schon bald so weit fortgeschritten sein wird, dass bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren Geschäftsanwendungen möglich sein werden.
Vielen Dank, Wendelin, wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse des ProvideQ-Projekts und Anwendungsmöglichkeiten von Quantencomputing in der Logistik.
Im Projekt ProvideQ arbeitet 4flow research mit den Partnern Leibniz Universität Hannover, Universität zu Köln, Technische Universität Braunschweig, Johannes Kepler Universität Linz, Karlsruher Institut für Technologie und GAMS Software zusammen. Das Projekt begann im Januar 2022 und wird bis Ende 2024 fortgeführt.
4flow research ist unser Innovationslabor für Supply Chains. Das Team forscht und veröffentlicht Studien zu Supply-Chain-Themen wie Data Science und Datenökosysteme, widerstandsfähige und robuste Liefernetze, Optimierungsalgorithmen sowie Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung.