Der Wandel hin zur Elektromobilität hat Produktions- und Montageprozesse in der Automobilindustrie unter Druck gesetzt. Unternehmen, die beispielsweise Schalt-, Automatik- und Hybridgetriebe herstellen, sehen sich derzeit mit einem volatilen Markt konfrontiert, hervorgerufen durch technologische Veränderungen und Absatzschwankungen.
Welche Rolle kann Automatisierung dabei spielen, diese Komplexität zu reduzieren? Und was sind die Vorteile der Automatisierung bestimmter Prozesse in der Fertigung? Können Roboter und Menschen für mehr Kosteneffizienz zusammenarbeiten? Das waren die zentralen Fragen bei unserem Projekt mit einem Getriebehersteller.
Auswahlprozesse für Automatisierung
Während eines ersten so genannten Logistik-Effizienz-Audits wurden Prozesse entlang der Montagelinie identifiziert, die sich für eine Automatisierung eignen. Das waren vor allem solche, die schlanker sein könnten und deren Kosten skalierbar waren.
Automobilwerke bestehen in der Regel aus mehreren Produktionsbereichen, die in Werkstätten oder Zellen angeordnet sind und viele Montagelinien mit intern gefertigten Rädern und Wellen versorgen. Die vielleicht größte Komplexität besteht dabei in der Vielfalt an Zulieferern, Komponenten, Ladungsträgern und teilespezifischen Einlagen sowie in den vielen verschiedenen Verpackungsarten.
Autoren
Jan-Moritz Metelmann
Principal bei 4flow consulting
Christian Lieberoth-Leden
Principal bei 4flow consulting
Roboter früher und heute
In der Vergangenheit waren komplexe Prozessanforderungen und hohe Kosten ein wirksames Argument gegen Automatisierung in der Montage. So wurden bei der automatisierten Kommissionierung mittels eines Industrieroboters und eines universal einsetzbaren Greifers in einer Roboterzellen alle Teilevarianten aus allen auftretenden Varianten an Gitterkörben kommissioniert. Gerade der Greifer musste besonders komplex sein, was häufig bedeutete, dass der Investitionsbedarf für die Roboterzelle nicht wirtschaftlich darstellbar war. Zudem konnten die geforderten Taktzeiten häufig nicht erreicht werden.
Heute sieht das dank der Vielzahl spezialisierter und erfahrener Anbieter im Bereich der Robotik und des Sondermaschinenbaus anders aus.
Mittels eines neuen Ansatzes zur Roboterautomatisierung haben wir uns im Rahmen des Projekts darauf fokussiert die Komplexität dadurch zu reduzieren, dass nur noch einfache und wiederkehrende Schritte am Fließband des Herstellers automatisiert werden. Das Erfolgskriterium dabei war, dass variantenreiche und komplexe Prozessschritte von Menschen übernommen wurden, die mit den Robotern zusammenarbeiteten.
Kollaborative Roboter – Zusammenarbeit mit Menschen
Ein so genannter Cobot, eine Kombination der Worte kollaborativ (engl. collaborative) und Roboter (engl. robots), ist ein Roboter, der gezielt für die direkte menschliche Interaktion in einem gemeinsamen Raum konzipiert wird. Cobots gehören zur neuesten Technologie in der Robotik und haben die Welt der Automatisierung bereits heute verändert. Ausgestattet mit Sensoren, die das „Fühlen“ ermöglichen, wechselt ein Cobot zum Beispiel automatisch in einen Sicherheitsmodus, wenn er bei der Arbeit unterbrochen wird. Traditionelle Roboter hätten in einem solchen Fall weitergearbeitet und womöglich Menschen verletzt.
Im Rahmen unseres Projekts haben wir eine Cobot-Anwendung genutzt, mithilfe derer wir die Arbeit am Fließband aufgeteilt haben. Daraus ergaben sich Aufgaben, die für Roboter zu komplex waren – wie das Entfernen fest eingewickelter Folie oder anderer komplizierter Verpackungen von den verschiedenen Komponenten – und solche, die sich optimal für die Automatisierung eigneten.
Die Roboter übernahmen wiederkehrende Aufgaben wie die Entnahme von Rad- und Wellenteilen aus großen Ladungsträgern und die Vorbereitung von Halbfertigprodukten für die Montage, indem sie diese auf Rollenbahnen ablegten. Weitere standardisierte Cobot-Tätigkeiten waren das Heben schwerer Bauteile oder das Sortieren von Standardartikeln aus Behältern, wodurch ein ergonomischerer Arbeitsplatz für die Mitarbeitenden geschaffen wurde.
Offenes Raumdesign und Effizienzsteigerung sind Vorteile
In der Studie wurden mehrere Vorteile in der Anwendung von Cobots festgestellt:
Schrittweise Implementierung
Zusätzliche Funktionen können modular ergänzt werden, um Verbesserungen vorzunehmen. Das Risiko ist dabei deutlich geringer im Vergleich dazu, ganze Roboterzellen umbauen zu müssen. Diese Art der kontinuierlichen Verbesserung kann auch Zuverlässigkeit und Effizienz durch verkürzte Taktzeiten verbessern.
Offene Gestaltung des Arbeitsraums
Arbeitende können in Situationen eingreifen, in denen Cobots Unterstützung benötigen. Das ist anders als bei Industrierobotern, die sich zur Gewährleistung sicherer Arbeitsbedingungen hinter verschlossenen Türen befinden müssen. So können heute mehrere Cobot-Arbeitsstationen gleichzeitig effizient unterstützt werden.
Effizienz
Unsere Studie hat ergeben, dass der vorgestellte Anwendungsfall im Vergleich zum Status Quo mit 45 % weniger Mitarbeitenden umgesetzt werden kann. Darüber hinaus konnte durch die Zuweisung von Cobots für standardisierte Tätigkeiten die Komplexität reduziert werden, was eine erwartete Amortisationszeit von ca. 3 Jahren bedeutet.
Durch den Einsatz von Cobots konnte die automatisierte Teilehandhabung an der Montagelinie des Herstellers mit geringen Anfangsinvestitionen und kurzer Implementierungszeit gestaltet werden. Zu den wichtigsten Vorteilen gehörten die Verringerung der Komplexität und die Steigerung der Effizienz – ein Ergebnis, das als Business Case und Grundlage für weitere Projekte zur Automatisierung von Montagelinien dienen kann.
Dieser Artikel basiert auf einer längeren Version, die Jan-Moritz Metelmann und Christian Lieberoth-Leden für den Beitrag „Umsetzung Cobot-Automatisierung“ verfasst haben, veröffentlicht in der Ausgabe „Robotik“, Nummer 3, August 2022 von Irgendwas mit Logistik.